Wiener Zeitung, 05. September 1997

EMOTIONEN ALS BESTÄTIGUNG
Gottfried Helnwein über den Grat zwischen Massenwirkung und Vereinnahmung
Michael Martens

Die Liste der vermeintlichen Mythen unseres Jahrhunderts, der Stars der Popkultur, deren Nähe Sie gesucht und die Sie fotografiert haben, ist lang: Mick Jagger und Keith Richards gehören dazu, auch David Bowie, Michael Jackson, Andy Warhol, Sting, Muhammed Ali und so weiter. Was gab jeweils den Ausschlag für Sie, sich mit diesen Personen treffen zu wollen, sie vor der Kamera zu haben? War Sympathie dabei, Verehrung, oder auch Abneigung in einigen Fällen?

Helnwein: Es war immer Neugierde. Ich wollte immer wissen, warum die Menschen Idole brauchen.

Welche Idole brauchen Sie?

Helnwein: Es gab Menschen, die ich bewundert habe. Als Sechsjähriger habe ich Donald Duck und Elvis Presley bewundert. Elvis Presley war wie ein Beispiel aus einer anderen, wunderbaren Welt für mich, wo nicht alles dunkel und grau und schwammig und aufgedunsen war. Was sagte er uns mit dem, was er machte? Er sagte: Das alles ist mhglich. Das erstaunliche an Elvis war für mich, zu sehen, daß jemand so schön sein kann. Das wußte ich gar nicht. Elvis Presley war der erste schöne Mensch, den ich sah. Wie ein Engel. Das war ein Gegensatz zu den gedrungenen, verkniffenen, katholischen Nazigesichtern in Wien.

Sind die Menschen, die Sie fotografieren, auch Idole für Sie?

Helnwein: Nicht für mich, für die Menschheit. Ich hatte aus verschiedensten Gründen Interesse an diesen Menschen.

Aus welchen Gründen?

Helnwein: Jeder der Porträtierten hat eine bestimmte Welt verkörpert. William Burroughs hat mich wegen "Naked Lunch" interessiert und weil er ein Inspirator war für viele andere Künstler. Wie jeder Künstler hatte er die Sehnsucht, Grenzen zu überschreiten. Das gelingt den meisten nur teilweise, weil jeder sehr viel Bürgertum in sich hat, und ganz wenige gehen so weit wie Burroughs. Der Grund, warum ich ihn fotografieren wollte war, daß alle Fotos, die ich von ihm kannte, mir nie das gezeigt haben, was ich sehen wollte. Durch die Bilder, die ich von Burroughs kannte, erfuhr ich etwas über den jeweiligen Fotografen, aber nichts über den Fotografierten. Fotos von Maplethorpe sagen viel über ihn selbst aus und über seine Vorstellung von Ästhetik, aber sein Norman Mailer sieht genauso aus, als wenn er ein Stilleben mit einer Lilie fotografiert. Auch bei den Arbeiten von Helmut Newton lerne ich vor allem etwas über den Fotografen. Von Foto zu Foto weiß ich mehr über die Welt von Newton, aber über die dargestellten Menschen weiß ich nichts. Die werden alle Newtons. Wenn ich Fotos mache, habe ich keine Idealvorstellung, wie jemand gesehen werden sollte. Ich bin nur neugierig. Ich wollte sehen, ob es möglich ist, auf einem Foto etwas sichtbar zu machen, was man mit dem freiem Auge nicht sieht.

Wenn Sie den Menschen dann gegenüber sitzen, wie bauen Sie Vertrauen auf? Wie konnten Sie Arno Breker überreden, sich mit einem Foto von Beuys in der Hand fotografieren zu lassen?

Helnwein: In der Regel ist es leicht gewesen, Vertrauen zu schaffen, weil ich den meisten nicht unbekannt war. Ich komme nicht als Journalist oder Fotograf zu den Menschen, sondern als Künstler. Zu einem Kollegen haben die meisten mehr Vertrauen. Im Falle Breker war ich sehr überrascht, als ich vor einigen Jahren zufällig erfuhr, daß er zu dem Zeitpunkt überhaupt noch lebte. Ich habe mich mit jener Zeit sehr beschäftigt, Geschichte ist eine Leidenschaft von mir. Ich hin interessiert daran, an authentische Quellen heranzukommen. Ich habe eine Sucht nach Authentizität, weil sekundäre Quellen oft zweifelhaft sind. Was die Nazizeit angeht, gibt es noch die täglich schwindende Möglichkeit, mit Zeitzeugen in Kontakt zu treten. Die Vorstellung, mit jemandem wie Breker zu sprechen, mit jemandem also, der im Zentrum der Macht war, fand ich faszinierend. Dann hat Breker ein Bild von mir gesehen, eben jenes Beuys-Bild, und er sagte in einer für mich vielleicht peinlichen Bewertung, die Technik des Bildes sei unglaublich gut. Daraufhin war ich einen ganzen Tag bei ihm. Es war faszinierend, mit ihm, diesem Feindbild der Kunstwelt, zu reden. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches war dieser einst gefeierte Mann von einem Tag auf den anderen für den Rest seines Lebens Abschaum, was sicher auch mit dem Bedürfnis der Menschen zusammenhängt, für das Gute wie das Böse holzschnittartig Identifikationsfiguren zu haben. Man hat nach 1945 alles Schlechte auf ihn projiziert. Er ist dann nie damit fertig geworden, daß sich die Welt, in der seine Ästhetik triumphiert hat, über Nacht gewandelt hat in eine Welt, in der er nur noch ein Monstrum war. Ich glaube, er ist ein völlig unpolitischer Mensch. Er war nie ein fanatischer Nazi, aber er war naiv. Naiv in einer Weise, wie man es nicht sein sollte. Er sah sich als einen Renaissancekünstler, der die klassische Tradition weiterführt. Ein Erbe und ein Bewahrer der abendländischen Kunst. Diese Art von Künstler braucht immer die Medici, einen Herrscher als Auftraggeber. Nur hatte er das Pech, nicht Michelangelo zu sein. Sein Auftraggeber war nicht Papst Julius, sondern Adolf Hitler.

War er ansprechbar auf seine Vergangenheit?

Helnwein: Als ich ihn fragte, was er damals über die Kunst dachte, die aus den Museen geholt, verbrannt und als entartet bezeichnet wurde, hat er plötzlich nichts mehr gehört. In solchen Momenten streikte sein Hörgerät. Es gibt da Parallelen bei Riefenstahl und bei Breker, denn beide haben sich später auf ähnliche Weise zu rechtfertigen versucht. In Brekers Atelier standen fast ausschließlich Büsten von Negern oder Juden. Ernst Fuchs hat er porträtiert mit einer Kappe, auf der lauter Judensterne drauf waren. Außerdem stand da eine frühe Arbeit von ihm, ein sehr großer, schöner Zigeuner-junge. Und Leni Riefenstahl ist nach Afrika gegangen, hat mit einem Negerstamm gelebt und alle fotografiert. Ich habe den Eindruck. hei beiden war das ein Versuch, das eigene Bild in der Geschichte zu korrigieren. Früher haben sie dem Bild des Herrenmenschen gedient, dann haben sie sich dem Untermenschen gewidmet, um eine Balance herzustellen in ihrer Biographie.

Ihr Fotoporträt von Michael Jackson ist eher respektlos. Sie sind so nah an ihn herangegangen, daß man das ganze Elend dieses Menschen sieht: Seine kaputte Haut, übersät mit kleinen Pusteln oder. Flecken, nur notdürftig mit viel Puder kaschiert, seine völlig unnatürliche Schweinchennase. Bei anderen Bildern haben Sie die Beleuchtung etwas freundlicher gestaltet, Michael Jacksons Gesicht dagegen ist einem schonungslos-grellen, hellweißen Licht ausgesetzt. Da haben Sie eiskalt einen Mythos zerstört.

Helnwein: Er hat den Katalog mit seinem Foto noch nicht gesehen, aber er wäre sicherlich nicht zufrieden. Normalerweise kann ihn niemand so fotografieren. Ein wichtiger Teil seines Kapitals ist sein Gesicht, und das hütet er. Kaum jemand sieht ihn persönlich. Alle Fotos, die von ihm im Umlauf sind, versucht er zu kontrollieren. Er wählt aus, welche veröffentlicht werden, dann läßt er sie noch retuschieren, da geht nichts ungeplant an die Öffentlichkeit. Er erschafft sein Image. Von allen Fotos, die ich gemacht habe, ist das, was ich dann später veröffentlicht habe, das vorsichtigste.

Wie sind die Jackson-Fotos entstanden?

Helnwein: Man kann natürlich nicht einfach so zu ihm hingehen. Offensichtlich kannte er meine Malerei. Als er auf Konzerttournee in Europa war, habe ich über das Management anfragen lassen, ob man ihn fotografieren kann, und dann hieß es, Jackson sei seit langem ein Fan von mir und begeistert von der Idee, ich solle sofort kommen. Ich habe seitdem regelmäßig Kontakt mit ihm. Wir treffen uns und reden über Kunst.

Versteht er etwas davon?

Helnwein: Er interessiert sich sehr für bildende Kunst. Er fragt mich andauernd aus über verschiedene künstlerische Techniken. was ich von Michelangelo halte oder von Bougreaud. Als wir einmal eine Stunde über Kunst gesprochen hatten, sagte Lisa-Maria Presley, seine damalige Frau, nachdem er weg war, "Was ist passiert? Der war ja ganz normal!" Es ist sehr selten, daß man mit ihm normal reden kann. Er ist sehr eigenartig. Ich denke, in Wirklichkeit ist dieser Mensch hochintelligent und skrupellos. Ich meine skrupellos nicht abwertend.

Wie kann man skrupellos nicht abwertend meinen?

Helnwein: Im Sinne von nicht zögerlich. Er macht die Dinge, die wichtig sind für das, was er erreichen will: Er will ein Gott sein. Ich war hei einem Konzert von ihm und habe die ganze Zeit gedacht: Was wie dieser Mensch, wozu macht er das, was hat er vor? Es geht ja nicht m~ wirklich um die Musik bei ihm. Er will sich so in die Hirne der Menschen brennen. Dafür nützt er jede Sekunde seines Lebens. Im Gegensatz zu der Vorstellung, daß Gott einen Menschen erschafft, haben wir hier einem Menschen, der eine Gottheit erschafft.

Davor haben Sie Respekt?

Helnwein: Ich habe vor allem Respekt, was nicht Durchschnitt ist. ist. Es gibt und gab niemanden, der so ist wie Jackson, und jeder, der eine neue Sichtweise in die Welt bringt, der ihr ein neues Modell anbietet, fasziniert mich. Das größte Raffinement entwickelt er in der Kunst der Verstellung. Er stellt sich als ganz schwach und zerbrechlich dar und irritiert damit seine Gegner. Die werden nachlässiger. Ich glaube, daß Künstler generell gefährdeter sind als andere, denn allein durch die Tatsache, daß sie Künstler sind, befinden sie sich im Widerspruch zu der Gesellschaft, in der sie leben. Daher entwickeln sie Strategien, um sich zu schützen. Das ist wie die Märchengeschichte vom "Wizard of Oz", wo das Mädchen zum Schluß vor dem grauenerregenden, riesigen Gesicht des Zauberers steht und durch Zufall entdeckt. daß hinter einem Vorhang ein kleiner alter Mann steht und nur mittels Projektion zu einem Riesen wird. In Wirklichkeit ist der böse Zauberer, vor dem sie die ganze Welt fürchtet, ein zitterndes Männlein. So kann man auch die großen Diktatoren der Weltgeschichte sehen. Ich glaube, daß Stalin und Hitler nichts weiter waren al armselige Würstchen, die sich durch Taschenspielertricks zu falscher Größe gebracht haben, bis sich die ganz Welt vor ihnen fürchtete.

Hitler war ein begnadeter Inszenator seiner selbst.

Helnwein: Aber ein Häuflein Elend in Wirklichkeit.

Ja, aber er konnte sich gut in Szene setzen.

Helnwein: Die Menschen sind auf seinen Theaterdonner hereingefallen. Auf die Tricks eines drogensüchtigen und außerordentlich dummen Mannes.

Sie setzen die Tradition der Verherrlichung mit anderen Mitteln fort. Empfinden Sie keine Skrupel, wenn Sie durch Ihre Arbeit dazu beitragen die Stars, die Götter unseres Jahrhunderts, denen viele blind folgen, zu glorifizieren?

Helnwein: Ich glaube nicht, daß meine Porträts verherrlichen.

Wird dieses Abzielen auf Massenwirkung auch künftig ihre Überlegungen bestimmen? Oder können Sie sich vorstellen, auch Wege zu gehen, auf denen ihnen niemand folgt? Wäre Ihnen das egal?

Helnwein: Beides hat eine Rolle gespielt, mit wechselnder Akzentuierung. Die ersten Sachen habe ich gemacht, weil mich interessiert hat, was passieren wird, wenn ich meine Ideen zeichnerisch umsetze. Andere Aspekte haben mich überhaupt nicht interessiert. Ich habe mich in den ersten Jahren geweigert, etwas auszustellen, ich wollte auch nichts verkaufen.

Da sind die Bilder auch gleich teurer geworden.

Helnwein: Das hat keine Rolle für mich gespielt. Später, zu Beginn der achtziger Jahre, hat mich ganz bewußt das Postulat der Pop-art interessiert, nämlich eine populäre Bildersprache zu entwickeln. Der Pop-art selbst ist das ja nie gelungen, sie ist elitär geblieben. Wirklich populäre und triviale Kunst in diesem Jahrhundert waren nur die Comic-Strips und die Verpackungen. Daraus hat die Pop-art nur zitiert.

Warhols Marilyn Monroe hängt heute in jedem zweiten Yuppie-Wohnzimmer.

Helnwein: Natürlich haben einige Werke der Pop-art auch Popularität erreicht, wie Warhols Monroe, die zur Ikone geworden ist oder Roy Lichtensteins weinendes Mädchen. Aber ihre Kraft beziehen sie von der wirklich trivialen Kunst. Sie sind nur Reflektionen von Comic-Strips und Werbung. Ich vermute, daß sich diese Wertigkeit, wenn man in einigen Jahrhunderten auf unseres zurückblickt, zugunsten von Comics und Werbung korrigieren wird. Heute noch gilt ein Comic-Strip als Abfall, es sei denn, er wird von Roy Lichtenstein zitiert. Dann ist er ? obwohl relativ schlecht gemalt - plötzlich viele Millionen wert. Ich vermute, das wird man einmal anders sehen. Denn die Trivialkunst der Comics, der Filme und der Rockmusik ist die originäre Kunst, prägend und typisch für dieses Jahrhundert. Wie jede große Kunst hat sie das Lebensgefühl ihrer Zeit widergespiegelt und mitgeprägt. Trotz allem hat mich die Pop-art sehr interessiert, ich denke sogar, daß sie wichtig ist, denn sie hat den trivialen Künsten zu einer anderen Wertschätzung verholfen. Ich wollte da noch weiter gehen. Ich wollte die Titelblätter von Magazinen mit Millionenauflage machen, und das habe ich dann ja auch. Ich habe zum Beispiel vom "Time Magazine" zusammen mit Rauschenberg den Auftrag bekommen, Deng-Xiau-Ping zu porträtieren. Ich wollte ganz bewußt den geheiligten Boden der Kunst verlassen, weil ich dort alles ekelerregend fand. Aber auch diese Phase war dann irgendwann vorbei.

Dennoch scheint auch Sie, gleich wie Sie sich drehen und wenden, jene Welt, die Sie als junger Künstler so verabscheuten, nämlich die Kunstwelt der Eingeweihten und Etablierten, mit Vernissagen bei Lachsbrötchen und Sekt, langsam zu absorbieren. Bald hier eine Ausstellung, bald da, die nächste in St. Petersburg, dann vielleicht Japan, und so weiter und sofort.

Helnwein: Was mich immer begleitet hat, war ein strenger, kalter Gegenwind, eine Gegnerschaft von allen Seiten, vor allem von sogenannten Experten. Daran hat sich nichts geändert. Meine Bilder haben immer sehr stark polarisiert. Es gibt Menschen, die bekommen Tobsuchtsanfälle, wenn sie sie sehen, und andere, die lieben sie. Zu sehen, was für Emotionen meine Bilder immer noch auslösen, ist für mich eine Bestätigung.